8. Oktober 2010

Walk through the World with me - Rückblicke / Im Hinterland von Texas an der mexikanischen Grenze

Amerika pur! Langtry, Texas
5. Oktober 2010

Von der Westcoast durch Arizona, über das wilde Utah, „Island in the Sky“ überflogen, nach Salt Lake City mit Antelope Island, durch Wyoming in die „Mile high City“ Denver, das windige Kansas hinter uns gelassen und in Oklahoma fast einen Club gegründet, bis tief nach Texas hinein. Ganz am Anfang hat uns ein mächtiges Erdbeben in San Diego durchgeschüttelt. Das war vor über 6 Monaten.

Die Tage sind schnell vergangen, während dieser Zeit gingen die Börsen ihren Weg von auf und ab, die Weltwirtschaft ist an einem Tage auf gutem Wege, am nächsten drohen schwarze Wolken das Wachstum zu ersticken und Währungskriege verlängern die nie endende Liste der Krisen dieser Welt. Mein Blog gibt etwas mehr Arbeit als gedacht, dafür sind die zahlreichen Leser der Lohn. Regelmässige Hits kommen aus der Schweiz, Deutschland, Oesterreich, USA, Singapore, Slowenien und ein paar aus Canada und Frankreich. Gegen 300 Leser werden es sein. Der Kontakt mit der Schweiz ist nie abgerissen. Dort geht alles seinen geregelten Lauf. Es wurden zwei neue Präsidenten gewählt und dass die Schweiz deren sieben hat, war dem kenianischen Taxifahrer in Dallas nicht zu erklären. Ein netter Typ, der sich während der Fahrt zum absoluten Arschloch entwickelte. Seine Offerte von 10 Dollars schnurrte er mit allerlei Gejammer auf 60 hoch. 

Aber mit Taxifahrern streite ich aus Prinzip nicht. Eine Diskussion mit denen endet im besten Fall mit einem Rausschmiss oder im schlechtesten mit einer Zankerei um das abgesprochene Fahrgeld. Diese besserwisserische Spezie der menschlichen Gesellschaft ist es einfach nicht wert. Das war in der Schweiz nicht anders und so bin ich früher manchmal als frauenverachtender Chauvinist, glühender Sozi, vielfach als Afrika - und nicht selten als Galatasaray Istanbul-Fan vom sündigen Zürich ins beschauliche Meilen chauffiert worden.

Sonst haben wir auf unserer Reise aber fast nur nette Menschen kennengelernt und vor allem fantastische Landschaften gesehen. Manchmal ist aber gar nicht das Grosse wichtig. Es sind die kleinen Begebenheiten, die das Leben ausmachen. Wie der Bub am Wegesrand, der ungelenk seinen Drachen steuert und einem bewusst macht, dass man auch mal einen hatte. An dem man sich an guten Tagen erfreute und der an anderen kaum mehr zu flicken war. Der Rekord in meinem Dorf lag bei 300 Metern Schnur, so sagte man. Vielleicht hätte ich das auch mal geschafft, wenn mich nicht kurze Zeit später tuschelnde Mädchen und um das offene Feuer kreisende Joints in lauen Sommernächten auf der Wiese am See mehr fasziniert hätten. Vielleicht auch, weil die Liebesmüh von den Mädchen viel schneller und mit nassen Küssen belohnt wurde. Aber einige meiner Freunde konnten von Drachen die Finger nie lassen und streiten heute um das Sorgerecht und die Scheidungsformalitäten in einem nicht nachvollziehbaren Rosenkrieg.

Nach all den Städten zog es uns wieder in die Natur. Wir verliessen San Antonio und fuhren auf dem Highway 90 Richtung Del Rio am Rio Grande. Vorbei an riesigen und manchmal skurrilen Werbetafeln: „Need a Ranch? Call 949 547 01 35“. Na ja. Hab’ ich mir gar noch nie genau überlegt. Aber klar, könnte passen, da ruf' ich doch gleich mal an...

Der Highway nach Del Rio weist nicht viele Kurven auf. Wieder fuhren wir auf schnurgeraden Strassen in diesem weiten Land unserem Ziel entgegen. Am Strassenrand sassen jetzt wohlgenährte Geier, zufrieden den Kopf wiegend mit der Gewissheit, am nächsten Tag ihr Essen nur von der Strasse kratzen zu können. Ein Leichenschmaus, offeriert von Tieren, die in der dunklen Nacht, gefangen im plötzlichen Lichtkegel der rasenden Geschosse der Zweibeiner, keinen Ausweg mehr sehen und einen gewaltsamen Tod finden. Nur die eigene Gier lässt die Geier manchmal zu lange auf dem Highway hocken und nicht selten werden sie selber zum fürstlichen Mahl.

Der einsame Harley-Fahrer mit blutleeren Armen, der dich überholt und immer kleiner werdend und weit entfernt sich in der flimmernden Luft am Horizont in ein Phantom auflöst, das monotone Dröhnen deines Motors und die am Radio gespielten Lieder wie Zac Browns „Chicken Fried“ oder gar das Walk through the World with me von Marc Cohn, versetzen dich in einen Zustand der Leichtigkeit. Einen Zustand, der weite Fahrten zur Sucht machen kann. Dann schweifen die Gedanken ab und kreisen um Vergangenes, um Glück und Unglück, Schmach und Leid. In diesen seltenen Stunden, während denen die Zeit vermeintlich stehen bleibt, siehst du fremde Missetaten in einem anderen Licht und vergibst dir deine eigenen.

Aber irgendwann kommst du trotzdem an. In Del Rio am Rio Grande. Eine Stadt mit 35'000 Einwohnern, 5 Meilen lang, am Highway 90 gelegen. Eine Stadt an der mexikanischen Grenze, obwohl du dir sicher bist, dass du diese schon längst überschritten hast. Deren Einwohner in alten Ami-Schlitten oder aufgemotzten Chevrolets die Strassen befahren und die den fotografierenden Gringo im Historic Heart, mit seinen wenigen Steinhäusern und den angrenzenden Bretterbuden, beobachten und du dich fragst, ob sie dich als Opfer, Täter oder Freund sehen. In der dunklen Nacht äsen scheue Rehe vor deinem Fenster auf dem Campground. Von denen gibt es jede Menge hier. Man kann bei fast jeder Ranch mit auf die Jagd gehen. Auch sonst zeigen sich die Texaner wenig zimperlich. Fleisch wird an Tankstellen in Plastiksäckchen mit dem Slogan verkauft „you kill it, we grill it“!

Wir besuchten Langtry, nur 60 Meilen entfernt, ein Dorf mit geschätzten 50 Einheimischen, das vom Ruf des legendären Richters Roy Bean lebt, der als ehemaliger Verbrecher am äussersten Rande von Texas im 19. Jahrhundert mit seltsamen Urteilen zu Ruhm gelangte. Die Legende sagt, dass er die meisten Angeklagten mit Tod durch Hängen bestrafte, aber im Nachverfahren alle laufen liess. In diesem einsamen Flecken konnte ich es nicht unterlassen, ein Haus und dessen Willkommensgruss zu fotografieren „NO TRESPASSING, VIOLATORS WILL BE SHOT, SURVIVORS WILL BE SHOT AGAIN!“ Sabina meinte, das sei keine gute Idee und als Gus, die deutsche Dogge mit seinem Herrn aus dem Haus trat, ahnte ich Böses. Indes gab uns der freundliche Gunman einen Tipp, wo wir den Rio Grande überblicken könnten und stellte sich auch noch einem Familienfoto. Lang lebe Texas!

Weiter ging’s nach Marathon, 1400 Meter hoch gelegen und 160 Meilen westwärts. Ein 500 Seelen Dorf (2020 410), das aus den Städten flüchtende Künstler aufleben lassen. Künstler wie Wesley Spears, ein Vietnam Veteran, der nach harten und guten Zeiten und sieben Jahren Nichtstun in Florida seine Passion in der Herstellung von Stühlen und Tischen gefunden hat. Wes, der uns während einer Stunde seine Werkstätte gezeigt hat und uns in seine Gedankenwelt versetzen wollte. Einer, der immerzu Gott dankt und der, mit vielen Talenten gesegnet, immer neue Projekte verwirklicht haben möchte. 

In Marathon, mit einem Hotel und Restaurant, dem Gage Hotel, das keine Vergleiche fürchten muss, eher alle gewinnen würde, übernachteten wir nicht. Ein Hotel vom Allerfeinsten, das aber an einer Bahnlinie liegt, auf der die Züge in der Nacht mit durchdringendem Hornen dem Ruhenden, mindestens im Campground, den Schlaf rauben.

Auf andere Art wurden wir von unserem eigentlichen Ziel, dem Big Bend National Park überrascht. Wir fuhren 250 Meilen an einem Tag durch diese mehr oder weniger eindrückliche Gegend, badeten unsere Füsse im Rio Grande und hörten „Singing Victor“, der mit lauter Stimme am mexikanischen Ufer des Rio Grande launige Liebeslieder über den Fluss schmettert, nur um ein paar lausige Dollars von den wenigen Touristen zu ergattern. Wenn auch illegal, von uns erhielt er deren drei.

In diesem einsamen Streifen der Welt sieht man seltsame Lichter und einige Alien-Freaks künden von fremden Besuchern. Man sollte aber nie jemanden unterschätzen. Als wir im „Gage“ in der Bar noch ein Bier zu uns nahmen und zwei stattliche Texaner in langen Cowboy-Mänteln uns nicht die Sicht vom im Fernsehen laufenden Baseball-Game nehmen wollten, bluffte ich in breitem Slang „No problem, I watch Football“. Der eine musterte mich spöttisch und meinte „I bet you watch Soccer!“ 

Amerikaner haben mehr drauf als wir uns in Europa immer einreden. In Dallas kam ich mit einem Seismologen ins Gespräch, der für die Auffindung von neuen Oelfeldern zuständig ist und immer wieder Neue findet, sogar in Long Beach, LA. Auf meine Frage, warum die USA dann Oel importiere, meinte er, es sei klüger, zuerst das Fremde zu gebrauchen...

Es gibt schon Gründe, warum die National Parks der anderen Staaten grössere Bekanntheit geniessen. Im „lonely planet“ USA liest man „Happiness is Marathon in my rearview mirror...“ Auch wir fuhren einen Tag früher als geplant nach Del Rio zurück. Am gleichen Tag, als Gotthard-Sänger Steve Lee das Zeitliche segnete und ich einige Mails aus der Schweiz erhielt, alle mit der Message, dass das Leben kurz und unberechenbar sei und man jeden Tag geniessen solle. Aber ganz abgesehen von der ganzen Erkenntnis und Tragik. Als Rockstar erschlagen von einer Harley... Was für ein Abgang!

Del Rio, Langtry, Rio Grande, Big Bend, Marathon, Texas
3. Oktober 2010 - 13. Oktober 2010

Endlos lange Strassen, ein Genuss!
Die Speisekarte studierend!
Scharfe Kontrollen entlang der Grenze, auch wenn Obama Präsident war, 2025 ist es nicht schlimmer!
Auf dem Weg nach Del Rio, machen wir eh selten, aber gut zu wissen.
pragmatisch...
Carmen, "unfortunately born in Del Rio"
"Golden Chick" bringt Farbe nach Del Rio.

Langtry, Texas
4. Oktober 2010

Bei Langtry.
"Gus" and Gunman.
Der böse, böse Hund hat sich fast in Sabina verliebt!
Man sollte nachts nicht durch die Gegend streifen!
Die findet man überall.
Texanische Familienidylle, wobei der Sohn sehr skeptisch uns begutachtete. Fremde Fötzel hat man hier nicht gern.
Der Ausflugs-Tipp vom "Gunman" in Langtry, Blick auf den Rio Grande. 
Highway 90 "Outlook" über den Pecos River, der in der Nähe von Albuquerque entspringt und kurz darauf im Rio Grande mündet. 

Marathon, Texas
4. Oktober 2010 - 7. Oktober 2010

Auf dem Marathon Motel & RV Park & Skypark angekommen. 174 Meilen von Del Rio entfernt.
"Wes" in seiner Werkstatt, ganz geile Stühle hat er konzipiert. 2025 lebt Wes wohl nicht mehr.
Und? Bequem, Sabina?
Wirklich Kunst!
Abendmahl im Gage
Wandschmuck im Gage, Zimmerpreise im Juli 2025 von 230 USD bis 380 USD.
Blick vom Marathon Motel & RV Park in die Weite Welt, 1250 Meter über Meer, 500 Meilen von Dallas und 1000 Meilen von San Diego, California, entfernt.
Schutzhund der Bank in Marathon.

Rio Grande und Big Bend National Park, Texas
6. Oktober 2010

Gemäss Prospekt "most scenic view" vom Rio Grande.
Im Big Bend National Park.
Könnte das ein Raumschiff sein, das auf seine Erweckung wartet?
Immer wieder soll man sie in dieser Gegend sehen!
Texas sunset

 so long guys

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du bist ja ein richtiger kleiner Philosoph geworden - früher hat sich deine Philosophie auf die "Glas halbvoll - Glas halbleer" Diskussion beschränkt. Und diese hast du gekonnt durch schnelles Nachbestellen beendet. Gruss Seemä

Gerold Guggenbuehl hat gesagt…

ach Peter, das kommt vielfach auch auf den Gesprächspartner an...:-)