11. August 2015

Available Light - Kunstform der Photographie?

mit oder ohne Stativ? Tiffany Dome im Chicago Cultural Center

Den halben Tag schleppte ich mein Stativ durch die stechende Sonne von Chicago. Im düsteren Licht der Eingangshalle des Chicago Cultural Center an der 78 E Washington Street wandte ich mich an den Empfang. Der Gesichtsausdruck des wachhabenden Beamten war nicht schwer zu deuten: Ein grosszügiges "Yes" zum Fotografieren aber mit mahnendem Blick ein "No tripod", mit ernster Stimme untermalt. 

Auch auf dem Top of the Rock, der Aussichtsplattform des Rockefellers Centers in New York ist ein Stativ nicht gestattet (ein 1-Bein schon). Das heisst, man könnte schon, man zahlt aber USD 1800 (Jahr 2008) für eine Stunde Fotografieren und nur mit einer eidesamtlichen Genehmigung!

Die Tiffany Kuppel in Chicago wollte ich unbedingt so gut wie möglich auf meinen Sensor bannen. Die Kamera auf den Boden legen? Warum nicht, damit habe ich schon ein paar schöne Kuppeln erwischt...

Karl Borromäus Kuppel Wien (100 ISO, 0.6 Sek, f/13)
Logan County Courthouse, Lincoln, Illinois (200 ISO, 1.6 Sek, f/14)

Nun hatte ich aber nicht damit gerechnet, dass die (Preston Bradley-) Halle gesperrt und es strikte verboten war, den Catering Service beim Aufbau ihrer Tische zu stören. Hey, da verstehen die verantwortlichen Wachmänner der Security keinen Spass. Da blieb mir nur noch aus der Hand zu schiessen. Ich schob den bronzenen Pfosten und die rote Absperr-Kordel ein paar Zentimeter zu meinen Gunsten weg. Da spürte ich aber schon den Atem des Beamten im Nacken. Dank ihm ist der Vorbau im ersten Bild links oben immerhin ganz klar zu sehen. 1)

Nun kommt aber die grosse Herausforderung. Wie viel ISO verträgt ein filigranes Muster wie diese Kuppel? Ha, filigrane Muster vertragen da viel mehr, als ein blauer Himmel! Da ich mit den ISO-Zahlen immer etwas geizig umgehe, hätte es wohl etwas mehr als 1250 ISO vertragen. Mit einer Blende von 4.0 konnte ich immerhin eine Zeit von 1/160 Sek herausschinden. Hey, meine Zeit als Sportschütze war noch nie da gewesen und die Bud Lights vom Vorabend musste ich auch noch einkalkulieren. Und mein geliebtes 24-70mm f/2.8 von Canon hat keinen Bildstabilisator. Da möchte ich bei der Belichtungszeit einfach auf der sicheren Seite sein. Mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden. (Faustregel: ab 1/125 und kürzer sollte man scharfe Bilder schiessen, mit Zoom 250mm ab 1/250 und mit Zoom 500mm ab 1/500). Bei Weitwinkel kann man auch längere (1/25) in Betracht ziehen, man sollte da sich aber bewusst sein, dass es ein Unterschied zwischen zwischen physikalischer und optischer Schärfe gibt. Aber auf PC-Bildformat ist dies eh egal.

Available Light lässt wohl fast den grössten individuellen Spielraum beim Fotografieren zu. Eine sichere Hand, die eine 1/60 Sekunde still hält, ist da ganz sicher im Vorteil. Dann muss man sich nur noch zwischen hoher ISO und mehr oder weniger Tiefenschärfe entscheiden. Bei der Blendenöffnung sollte man nicht vergessen, dass schwache Lichter bei kleiner Öffnung den Weg auf den Sensor kaum mehr finden, analog zu den Fotos von Gewittern. Bei f/18 wirkt der mächtige Blitz eher wie ein zahmer Nähfaden...

Und immerhin ist man mit einer etwas teureren Spiegelreflex immer noch schwer im Vorteil gegenüber den heutigen Smart-Phones. Bei den ISO-Zahlen gehören wir Grosskamera-Träger zu den Gewinnern. Leider gilt meistens auch: Je teurer die Kamera, desto bessere Qualität bei hoher ISO.

Ich schiesse auch immer auf RAW und bearbeite die Bilder im Lightroom, dessen Rauschreduzierungsregler ganze Arbeit verrichten. 

Nachfolgend noch ein paar Beispiele, bei denen der eine oder andere sicher eine andere Einstellung gewählt hätte. Fast hätte ich es vergessen, aber auf AV/TV ist bei Available Light selten Verlass. Da hilft nur noch die manuelle Einstellung, d.h. mein stellt Blendenöffnung (AV, bei Sony und Nikon A) und Blendenöffnungszeit (bei Sony und Nikon S) selber ein. AV (oder A) ist ein Halbautomat, man wählt die Blendenöffnung, wie lange die Blende offen ist, stellt der Apparat ein. Bei TV (oder S) stellt man die Zeit ein, während die Kamera die bestmögliche Blendenöffnung wählt.

ISO-Tabelle: veranschaulicht sehr gut, wie schnell man bei ISO 100 nicht mehr aus der Hand schiessen kann...

Blende
2,8
4
5,6
8
11
16
22
32
Belichtungszeit
400 ISO
1/2000
1/1000
1/500
1/250
1/125
1/60
1/30
1/15
200 ISO
1/1000
1/500
1/250
1/125
1/60
1/30
1/15
1/8
100 ISO
1/500
1/250
1/125
1/60
1/30
1/15
1/8
1/4 

Free Jazz im Chicago Cultural Center, ISO 2000, 1/320 Sek (die bewegen sich ja...), f/2.8
Kuppel des Logan Country Courthouse in Lincoln, Illinois, ISO 2500, 1/200 Sek, f/2.8
Die Lobby des Union Station Doubletree Inn by Hilton in St. Louis Missouri, ISO 2500, 1/50 Sek (ich war ausgeruht:-), f/2.8
 auf Stativ, ISO 200, 2.5 Sek, f/14
da hilft nur noch ein Stativ, Broadway in Nashville TN, ISO 100, 3.2 Sek, f/11
Beale Street in Memphis TN, ISO 200, 1/6 Sek, f/3.5... da war ich mit der ISO-Einstellung zu wenig schnell...
 auch in Memphis TN, ISO 4000, 1/200, f/2.8...
Brad Birkedahl in Memphis TN, ISO 4000, 1/640, f/2.8

 Diese Bilder sind mit 70-200mm f/2.8 von Canon am Drummeli 2015 in Basel geschossen worden, teils mit Stativ, teils mit Bildstabilisator (auf Stativ, Bildstabilisator unbedingt rausnehmen), manuelle Einstellung, das Licht wechselte in dieser Theaterhalle so schnell, dass ich die Blendenöffnung bei f/2.8 beliess...

ISO 800, 1/5 Sek, f/2.8
 ISO 2500, 1/50 Sek, f/2.8
 ISO 1000, 1/15 Sek, f/2.8
 ISO 500, 1/640 Sek, f/2.8
 ISO 1000, 1/250 Sek, f/2.8

Nun könnte man fragen, warum nicht mit Blitz?
1. Blitze haben eine sehr begrenzte Reichweite. 2. Die Ausleuchtung ist von Schattenwürfen durchsetzt. 3. Das Motiv und die Farben werden zum Teil erschlagen und manchmal wird der Fotograf erschlagen, der einen Blitz benutzt... 

Und ausserdem ist die Blitzfotografie äusserst anspruchsvoll und eine eigene Disziplin in der Fotografie. Hier wieder mit 24/70mm f/2.8 von Canon ein paar Fotos mit Blitz. 2nd oder rear curtain. D.h. der Blitz schiesst am Ende der Beleuchtungszeit...

ISO 200, 1/4 Sek, f/7.1 
 ISO 250, 1/4 Sek, f/2.8
 ISO 100 (falsch, d.h. ich hätte die ISO höher wählen sollen, trotzdem mit dem Beale Street Zeichen "in his mind"...), 1/6 Sek, f/7.1 
 ISO 200, 1/10 Sek, f/18 ohne Blitz
 ISO 200, 1/10 Sek, f/13 mit Blitz vor Ort, dank meiner Frau Sabina und Funkauslösung. okay, etwas ungerecht, da mit f/18 die Strasse und der Hintergrund noch immer im Dunkeln liegen würden..

1) Das Chicago Cultural Center verfügt noch über eine zweite schöne Kuppel:
Healy and Millet stained glass dome in the Grand Army of the Republic rotunda at the Chicago Cultural Center
Die haben wir leider verpasst…! auf Google dann Bilder eingeben...

Ich hoffe, der Artikel hat Spass gemacht und dem einen oder anderen etwas gebracht...

so long guys