30. November 2010

New Orleans - Träume und Wirklichkeit

Auch ein Träumer

Den ganzen Tag fiel es mir auf. Wo wir auch hinkamen stiessen sich die Leute mit dem Ellbogen, drehten die Köpfe und flüsterten hinter unserem Rücken. Im beliebtesten Restaurant der Stadt mussten wir an der Bar auf unseren Tisch warten. Leise aber deutlich hörte ich die Blondine zu ihrer Freundin tuscheln "that's the guy who's running 730 and more"! Dann bin ich aufgewacht. Ich musste wohl vor dem Fernseher eingeschlafen sein. 

Es war eiskalt. Auf 5 Grad Celsuis waren die Temperaturen gefallen. Im Manual fand ich kein Wort über Heizung. Nur, neben Dutzenden von anderen Warnungen, dass unser Wagen nicht für kalte Temperaturen gemacht sei. Innert Kürze stand fest, wir heizen mit Gas und die Flaschen waren leer. In einer kleinen Nachtübung besorgten wir an einer Tankstelle Nachschub. Vielleicht hätten wir besser einen Occasions-Wagen gekauft, wie die Familie Crettenand, die zum gleichen Preis einen 10jährigen, wintertüchtigen Trailer in bestem Zustand erstanden hat. Das Wetter sieht auch die nächste Zeit nicht nach Shorts und Süden aus.

Thanksgiving ist für die Amerikaner ein wichtiger Feiertag. Da finden alle Familienmitglieder zusammen oder man fährt in ein verlängertes Wochenende. Darum waren wir von riesigen Bussen in unserem Campground umzingelt. Und wir in unserem kleinen Travel Trailer, von dem ich beim Kauf befürchtet hatte, dass wir als protzige Touristen auffallen würden. Es hätte mich nicht gewundert, hätte sich einer der Busfahrer erbarmt und uns einen Schenkel eines Truthahnes vor die Türe gelegt. So nett sind sie dann aber auch nicht. Eigentlich sind sie überhaupt nicht nett. Sie grüssen, wenn es denn sein muss. Aber mit armen Leuten sich einlassen, das lässt der Motorhome-Besitzer bleiben. Wir kommen uns manchmal vor wie einsame Schrebergärtner, die es in ein Villenviertel verschlagen hat.

New Orleans ist eine sehr spezielle Stadt. Nicht nur wegen dem French Quarter. Downtown bietet dem Touristen mit dem Riverwalk am Mississippi, an dem die Kreuzfahrtschiffe anlegen, einem Casino und den bekannten Hotelketten eine moderne Alternative. Die Geschichte der Stadt ist bewegt, von der Entstehung über die Sklavenzeit mit dem Bürgerkrieg bis zu dem verheerenden Wirbelsturm, der im 2005 die Stadt fast ausgelöscht hat. Tatsächlich überlegte man sich, ob man alles dem Erdboden gleichmachen sollte und die Stadt an einem anderen Ort aufbauen wollte. Zum Glück nicht. Obwohl auch heute die Sicherheit nicht garantiert werden kann. Als einzige Grossstadt der USA liegt sie 1-2 Meter unter dem Meeresspiegel und wird von 5-11 Meter hohen Dämmen und Deichen geschützt. Viele Bewohner sind nach Katrina nicht mehr zurückgekehrt. Zählte die Stadt vor dem Hurrikan fast eine halbe Million Einwohner, sind es heute erst wieder gegen die 300'000.

Wir haben Quartiere gesehen, die noch nicht wieder aufgebaut worden sind. Natürlich sind es die Gegenden der ärmsten Bewohner. Vielleicht haben Stadtplaner die Situation ausgenützt und versuchen, arme Rückkehrer abzuhalten. Wir hoffen, die Stadt wird trotz der vielen Probleme eine Zukunft haben, der Sieg der Saints im Superbowl hat den Einwohnern sicher Auftrieb verliehen (Drew Brees, Quarterback der Saints wurde heute zum Sportler des Jahres gekürt). Weiterhin dürfen in der Wiege des Jazz'  Träume geboren werden, einige erfüllen sich und viele begräbt das Schicksal selbst.

Der berühmteste Friedhof der Stadt, in dem Szenen von "Easy Rider" gedreht wurden, liegt neben dem French Quarter. Drei Gräber von Voodoo-Zauberinnen haben sich zu kleinen Wallfahrtsorten entwickelt. Die Gaben, die die Verehrer liegen lassen, sind sehr bescheiden. Da eine Zigarette, dort eine zerbrochene Schnapsflasche und vielerlei Kitsch.

Ganz im Gegensatz zu den ausserhalb der Stadt gelegenen Plantagen, wo nur schon der Eintritt 18 Dollars kostet. Wir besuchten die Oak Alley Plantation, eine der weissen Siedler und die Laura Plantation, eines von Creolen bewirtetes Gehöft. Wir hörten von unserer Guide Amethyst viel über die verwirrenden Geschichten aus dem 19. Jahrhundert. Auch über die Sklavenhaltung, die ab 1865 verboten wurde. Ab diesem Zeitpunkt hatten es die Schwarzen viel leichter im Leben, so durften sie doch schon 1966 die gleichen Busse wie Weisse benutzen. Ich meine, das ist ja nur ein Jahr und 5 Generationen später.

Morgen werden wir die Stadt verlassen, Mississippi und Alabama durchqueren und in Florida sein. Natürlich kommen wir wieder einmal in Zeitnot, da wir Cesar und Janina in Jacksonville besuchen, über die 7-Miles-Bridge fahren und in Key West auf Hemingway anstossen, unseren Travel Trailer einwintern und nach einer noch unbestimmten Destination in der Karibik fliegen wollen. Schau'n wir mal.

NO liegt am Lake Pontchartrain, eine 24 Meilen lange Brücke führt schnurgerade quer durch
Belohnung für die lange Fahrt
Norvegian Spirit legt ab
Am Riverwalk, der war ziemlich abgegriffen
Casino, Downtown
French Market, eine weitere Touristenattraktion beim French Quarter, nicht gerade High Season
Quartierbeiz
Aus Bankers Almanach?
Grab einer der Voodoo-Zauberinnen
 Faszination Friedhof St. Louis Cemetary Number one

Oak Alley Plantation
 1000 entsprechen ca. 23'000 heute
Oak Alley Plantation
Laura Plantation
Sklavenhaus, 2 Zimmer, 16 qm für eine Familie

sleep well, guys

23. November 2010

New Orleans - "Who dat? Who dat? Who dat say dey gonna beat dem Saints?" - The Big Easy

A New Orleans Original

In einem Viertel der Schwarzen, auf einem Friedhof der Schwarzen, ein Weisser tanzend in Unterhosen... Aber was sollte ich denn machen?

Wir wollten auf einem Spaziergang dem Mississippi entlang unseren Kopf auslüften. New Orleans Friedhöfe sind legendär. Aus Angst vor Seuchen werden die Toten über der Erde in Mausoleen bestattet. Und eine solche „City of the Dead“ entdeckten wir vom hohen Damm aus. Sabina liebt diese Stätten der Ruhe. So stand ich bald an ein Gitter gelehnt und sah sie zwischen den Gräbern wandeln. Meine Frau nimmt sich gerne Zeit bei denen, deren Zeit einen anderen Weg ging, als sie selbst (1).

Ganz leicht spürte ich ein Kribbeln am Fuss. Ich stand in einem Nest von Ameisen. Plötzlich bissen, pieselten oder stachen sie wie Berserker oder was Ameisen auch immer tun (2). Ich spürte sie schon auf Kniehöhe und versuchte sie loszuwerden, aber das stachelte die Biester noch mehr an. Die Schuhe, Socken und meine Trainerhose flogen weg. Jede einzelne musste ich von meinen Beinen picken. Wäre jetzt einer der bekannten Trauerzüge um die Ecke gebogen, mindestens die Musik wäre verstummt. Ich meine, ich weiss ja nicht mal wie ich reagiert hätte. Hatte ich berechtigt Angst? So wie wir manchmal aussehen, sind es wohl die Schwarzen, die ihre Kinder von der Strasse holen. Als ich meine Schuhe auf einem Grab sitzend wieder anzog, meinte Sabi „das könnte man auch anders deuten...“

Auferstanden sind wir auch am nächsten Morgen wieder und fuhren ins French Quarter oder Vieux Carré. Wir hatten uns im Ramada Inn an der legendären Bourbon Street für zwei Nächte ein Zimmer genommen. In einem Viertel, in dem es keine Katzen und keine Hunde gibt. Die Katzen würden von den fetten Ratten gefressen und die Hunde hätten ohne Katzen keine Freude, davon ist jedenfalls Carol, eine ältere Bardame überzeugt. Ich glaube, es liegt eher an der Musik. Bei geschlossenen Türen in unserer Suite (nach 6 Monaten in einem Travel Trailer ist jedes Hotelzimmer eine Suite) dröhnte die Musik der verschiedenen Live-Bands nur noch in voller Zimmerlautstärke.

So gegen vier Uhr am Samstagnachmittag war schon einiges los auf dieser Strasse, an der Cabarets mit Love-Acts und Table-Dancers, Bars mit Live-Music und hübschen Animierdamen, die einem süffige Shots in allen möglichen Stellungen in den Hals schütten und Restaurants neue Kunden in ihren Bann ziehen. Bis weit nach Mitternacht nahm der Strom der Amüsierwilligen stetig zu.

Irgendwann zogen wir uns auf den Balkon zurück und genossen die wogende Menge aus luftiger Höhe. Mit dem Alkohol stieg auch die Agressivität. Zwei Schlägereien verfolgten wir mit. Die Polizisten in der Bourbon beherrschten die Szene aber nach kurzer Zeit und mit viel Gefühl, auch wenn manchmal die Berittenen eingreifen mussten. Dann stehen die Pferde in der Nähe Spalier und bekommen von jedem und jeder ihre Streicheleinheiten. Auch von uns. Warum das Pferd bei Sabina aber nervös geworden ist? Muss wohl ein Hengst gewesen sein...

Der Brauch will es, dass in New Orleans die Männer sich mit fürchterlich farbigen, billigen Halsketten eindecken und fremden Frauen schenken. Dafür kriegen sie einen Kuss und manchmal auch eine nackte Brust zu sehen. Der Balkon vor unserem Zimmer ist durchgehend. So gesellten wir uns am Samstag neben ein Pärchen, auf dessen Tisch ein Haufen solcher Kitsch lag. Seit sechs Monaten wohl die ersten Amerikaner, die uns nicht mal grüssten. Ihr uns auch!

An der ganzen Strasse stehen diese Könige auf den Balkonen und schenken ihrem Fussvolk die begehrten Ketten. Meistens bekamen sie zwar nur ein dankendes Winken, aber gar nicht wenige rissen ihre T-Shirts hoch und zeigten blanken Busen. Und rein anatomisch muss sich Amerika um seine Jugend keine Sorgen machen...

Ueberhaupt wissen die Amis zu feiern, vor allem die Frauen lassen die Sau raus. Kein Wunder schleppten die Anhänger einer „Christian Street Church“ ihre Kreuze durch die Strassen. An so einem Ort christliche Nächstenliebe zu predigen, das hat schon was.. Irgendwann im Morgengrauen wurde diese legendäre Party-Meile ruhiger und mit genügend Bier intus fielen wir in einen tiefen Schlaf.

„Who dat? Who dat? Who dat say dey gonna beat dem Saints?“ Ueber 60'000 Kehlen schrien ihren Schlachtruf auf’s Spielfeld. Die Saints, das Footballteam von New Orleans, die diesen Februar das erste Mal die Superbowl gewannen, sind die wahren Helden dieser Stadt. Kein Haus ohne Wimpel, kein Ecken ohne Zeichen, kein Auto ohne Sticker, das Fleur-de-Lis-Symbol sogar als Arschgeweih auf der Haut von eingefleischten Fans. Zum zweiten Mal in unserem Leben sassen wir in grosser Höhe, aber auf viel billigeren Plätzen als bei den Cowboys (die immerhin 2mal ohne Romo gewonnen haben) und genossen ein NFL-Game.

Auf den engen Stühlen zwischen einer verschworenen Gemeinschaft von Saints Fans sollte sich eigentlich eine gut gebaute Blondine als Nachbarin zu mir setzen. Ihr Vater oder Freund verhinderte dies mit sicherem Instinkt. Mein Gott, haben die denn hier gar kein Vertrauen?

Der Umgangston ist viel rauher als im übrigen Amerika. „Hi Babe, hows goin’?“ der Barfrau tönt in unseren Ohren erregender als das „hi Ma’m“ mit dem Sabina in Texas begrüsst wurde. Und als ich das Grunzen des Taxifahres nicht gleich beim ersten Mal als Einverständnis begriff, schrie er mir ein „C’mon brother!“ entgegen. „Hey, easy bro’“... Big Easy heisst doch diese Stadt!

Aber es liegt wohl an meinen Ohren. Als meine hübsche Nachbarin im Superdome eine Abwesenheit ihres Beschützers ausnützte, um mir (!) Popcorn anzubieten und ich verdammt elegant über den leeren Sitz gestreckt, meine Lauscher ihr entgegenstreckend auch beim vierten Mal nicht ein einziges der Kuschelworte verstand, die sie mir mit rauchiger Stimme zurief, musste ich mich beschämt und als Ausländer entlarvt, zurückziehen. Sabina neben mir grinste in sich hinein. Die Saints hatten keine Mühe und schlugen die Seahawks mit irgendwas über 30 zu irgendwas unter 20.

 Wir zogen uns nach dem Spiel an die Bourbon Street zurück, genossen guten Jazz und bezahlten unsere zweite Party-Nacht mit Kopfschmerzen und glasigem Blick am nächsten Morgen. Ach, wie lieben wir diese Stadt! Mehr Fotos, ein Klick auf Diaschauen New Orleans...:-)

Wir werden erst am nächsten Montag weiter ziehen.

(1) Frei nach Sandro Graf www.sandrograf.net

(2) Ameisen versprühen Ameisensäure, auch Methansäure genannt

New Orleans, Stadt der Träumer, Fantasten und Musikern!
The Dancer, verdammte Ameisen!
Szenen aus dem French Quarter
Strassenkünstler aller Arten säumen das French Quarter
im French Quarter
Sex sells!
cash only! Rotlichtviertel halt!
das Foto, eine Ikone vom French Quarter
mutiger Performer!
LIVE ACTS on stage!
die besinnliche Seite der Big Easy
die Aliens sind schon lange unter uns!
Am Nachmittag
auf unserem Hotelbalkon
French Quarter Stilleben
die kriegten sich nicht mehr ein...
I'm posing.. 
Café du Monde, weltbekannt
good crowd, good mood
Sabina setzt mich in Szene
Sabina, modisch immer up to date!

Carol, eine Saints, Bardame der kleinsten Bar der Welt!
Ramada Inn, die Hotel-Ikone vom French Quarter
Party-People
die Damen der Nacht
er will rauf
Arschloch, denke ich, dass er das denkt!
berittene Polizei, echt coole Streitschlichter
Bourbon - Toulouse Street
Kleintheater
zu später Stunde
Saints, mit dem Kreuz durch die Bourbon Street
The Saints

Number 15, ein schönes Bild
Live-Szenen
who dat, who dat?

Bourbon Jazz
and when the saints go marchin' in
home of Jazz-Music


so long Babes and Guys